….ein Tag bei NEUSTART

Da ich vor einem Jahr als Grüne Landtagsabgeordnete auch die Rolle der Sozialsprecherin übernommen habe, wollte ich unbedingt konkrete Erfahrungen auch in unterschiedlichsten Bereichen sammeln.

Ursprünglich wollte ich – ähnlich wie meine Kollegin Regina Petrik aus dem Burgenland – ja eigentlich Praktika in verschiedenen Einrichtungen machen, die zumindest eine Woche dauern sollten. Es war aber dann ziemlich rasch klar, dass sich das im Moment mit meiner intensiven Landtagsarbeit nicht vereinbaren lässt. Also habe ich mich dafür entschieden zumindest ein bis zwei Tage Hospitation pro Monat in unterschiedlichen Institutionen zu machen, um wirklich konkreten Eindruck über die Arbeit, die dort geleistet wird und den Nutzen, den sie für die Gesellschaft hat zu gewinnen. Aber natürlich auch, um Probleme und Bedürfnisse zu erfahren und über zukünftige Perspektiven zu sprechen.

2016 habe ich im Schnitt tatsächlich pro Monat in einer Einrichtung hospitiert und aus meiner letzten Hospitation Ende Juli bei „Neustart“ in Leoben ist folgender Bericht entstanden, der auch von der Leiterin Susanne Pekler mit folgender Einleitung in der Neustart – Zeitung „Intern“ veröffentlicht wurde.

Sandra Krautwaschl ist seit Juni 2015 als Landtagsabgeordnete

der Grünen unter anderem für die Bereiche Gesundheit

und Soziales zuständig. Um zu sehen, wie verschiedene

Felder sozialer Arbeit zusammenwirken, entschied sie sich,

2016 regelmäßig in sozialen Einrichtungen zu hospitieren.

So auch bei NEUSTART, wo sie einen Tag verbrachte. Für

intern schildert sie ihre Eindrücke.IMG_1503

 

Seit Juni 2015 bin ich als Landtagsabgeordnete der Grünen unter anderem für die Bereiche Gesundheit und Soziales zuständig. Mir ist es in diesem Zusammenhang sehr wichtig, tatsächlich auch zu erleben und wahrzunehmen, wie verschiedensten Felder sozialer Arbeit zusammenwirken, wie die Arbeit abläuft, wirksam wird, welche Erfolge und welche Probleme es dabei gibt und natürlich vor allem einen Eindruck zu bekommen, wie sie in unserer Gesellschaft „erklärbar“ sind, welchen Nutzen wir alle daraus ziehen und welche politischen Forderungen sich letztlich daraus ableiten lassen. Mir war recht schnell klar, dass es – um diesen Ansprüchen gerecht zu werden – nicht reichen wird, einfach nur kurze Besuche zu machen und mit den jeweiligen Leitungspersonen zu sprechen. Daher habe ich mich für Hospitationen entschieden, die jeweils zumindest einen, teilweise auch 2 Tage dauern sollten.

Seit Beginn des Jahres 2016 mache ich regelmäßig Hospitationen in sozialen Einrichtungen und Institutionen. Letzte Woche stand NEUSTART in Leoben auf dem Programm. Hier arbeiten Hauptamtliche (SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, Juristnnen,..usw.) zusammen mit Ehrenamtlichen in der Bewährungshilfe.

Menschen, die straffällig geworden sind, aber zumindest einen Teil der Strafe auf Bewährung erhalten haben, sollen darin unterstütz werden, möglichst rasch und gut (wieder) in ein Leben ohne Kriminalität und mit stabilen Strukturen zu finden.

Ich habe mir diese Einrichtung bewusst ans Ende des ersten halben Jahres meiner Hospitationen gesetzt. Viele Einrichtungen, in denen ich zuvor schon hospitiert hatte, arbeiten daran, dass benachteiligte Menschen eine Perspektive oder zumindest Unterstützung in ihrer Situation erhalten. Bei NEUSTART geht es um Menschen, die Grenzen unseres Rechtsstaates überschritten haben und dafür verurteilt wurden, aber auch um diejenigen, die sie damit geschädigt haben – das ist eine besonders schwierige Situation und die Klienten gehören wohl zu den am meiste stigmatisierten Personen in unserer Gesellschaft.

In einem sehr informativen Einführungsgespräch habe ich von der Leiterin Susanne Pekler eine Einführung über die aktuellsten und erfolgreichsten Alternativen zum herkömmlichen Strafvollzug erhalten. Vieles davon war für mich neu. Besonders beeindruckt hat mich die Möglichkeit der Sozialnetz –Konferenzen für jugendliche Täter, aber auch über andere Möglichkeiten wie Anti –Gewalt Trainings, elektronisch überwachten Hausarrest, Tatausgleich, gemeinnützige Tätigkeiten und Prozessbegleitung habe ich genauere Informationen erhalten.

Die erwähnten Ersatzmaßnahmen können natürlich nur bei minder – bis mittelschweren Delikten zur Anwendung kommen. Vieles davon war mir bisher in dieser Form nicht bekannt. Wiedergutmachung, Übernahme von Verantwortung und Reflexion über die eigene Tat und die Gründe, die dazu geführt haben, sowie das konkrete Hinarbeiten auf ein strukturiertes, stabiles Alltagsleben stehen bei all diesen Ansätzen im Vordergrund. Und das ist erfolgreich – statistisch belegt ist eine deutlich geringere Rückfallhäufigkeit, Verbesserung der Lebenssituationen und damit eine nachhaltig (sekundär)präventive Wirkung für die gesamte Gesellschaft.

In einer Gesellschaft, die immer noch bzw. in letzter Zeit wieder verstärkt von Vergeltungs – und Bestrafungsprinzipien geprägt ist, wird selten die Frage gestellt, wem diese Art des Umgangs mit Verfehlungen letztlich nutzt. Die Fachleute von NEUSTART haben mir hingegen ein eindrucksvolles Bild davon vermittelt, wie ihre Arbeit, nicht nur für die dort betreuten Menschen, sondern auch für die Allgemeinheit wirksam wird. Ich durfte nach Unterzeichnung der Vereinbarung über Verschwiegenheit und nach Absprache mit den KlientInnen bei mehreren Gesprächen und auch bei einem „aufsuchenden“ Kontakt in einer Anlaufstelle für sozial benachteiligte Personen („Wendepunkt“) dabei sein. Sowohl die einzelnen Biographien der TäterInnen, als auch der professionelle, empathische und lösungsorientiere Umgang der SozialarbeiterInnen mit den Menschen haben mich zutiefst beeindruckt. Auch für Vor – und Nachbesprechung der einzelnen Fälle war immer ausreichend Zeit eingeplant.

Nach den Erfahrungen bei vielen bisherigen Hospitationen (z.B. Kontaktladen, Arche 38, Tara, SOS Kinderdorf,…) ist mir bei NEUSTART vor allem bewusst geworden, dass hier oft Menschen eine Anlaufstelle finden, die schon in sehr benachteiligte Verhältnisse hineingeboren wurden und bei denen frühere soziale Unterstützung und Hilfsangebote nicht oder jedenfalls nicht im ausreichenden Maße vorhanden waren. Damit verbundene Perspektivenlosigkeit, frühe Gewalterfahrungen, Verwahrlosung, Missbrauch, Beziehungsabbrüche und oftmals daraus resultierenden psychischen Probleme sind Bestandteil der meisten Biographien. Der Fokus der Bewährungshilfe liegt bei NEUSTART allerdings immer auf der Stärkung von Eigenverantwortung, gewaltfreien Problemlösungsstrategien und Perspektiven in der Gegenwart bzw. Zukunft. Konkrete Aufgaben – und Zielvereinbarungen mit den KlientInnen helfen dabei, den Verlauf der Zusammenarbeit transparent und nachvollziehbar zu halten und das Erreichen (oder Nicht-Erreichen) konkreter Schritte für alle Seiten erkennbar zu machen.

Eine Erkenntnis, die ich sowohl aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung als Physiotherapeutin, als auch in den unterschiedlichsten sozialen Einrichtungen immer wieder gewonnen habe, hat sich bei NEUSTART für mich eindrucksvoll bestätigt: Je früher Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen ausreichende, qualitätsvolle Hilfe bekommen, desto mehr nutzt diese Hilfe auch nachhaltig. Und desto größer ist immer auch der präventive Effekt. Damit könnten nicht nur Leid und Not der betroffenen Menschen, sondern logischerweise auch die Gesamtkosten für die Allgemeinheit auf ein reduziert werden. Das erfordert jedoch ein Denken und Planen über die „Einzeltöpfe“ hinaus.

Auf NEUSTART umgelegt heißt das auch: Täterarbeit ist immer auch „Opferprävention“ für die Zukunft!

Ich sehe es daher als eine wesentliche politische Aufgabe, dass vor allem die Zusammenarbeit von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untereinander, aber auch mit SpezialistInnen aus Bewährungshilfe und Opferschutz, wie sie bei NEUSTART geleistet wird, verstärkt, von einem grundsätzlich ressourcen – und lösungsorientierten Haltung getragen und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden muss. Bewährungshilfe, Opferschutz und Prävention sind untrennbar miteinander verbunden und im Sinne eines bestmöglichen Einsatzes von (Steuer)Mitteln, muss auch in diesem Bereich die Prävention deutlich (und das heißt natürlich auch immer finanziell) gestärkt werden.

Aber nicht nur ausreichende finanzielle Ausstattungen sondern auch Erleichterung der Zusammenarbeit und Reduktion von bürokratischen Hürden sind wesentliche Rahmenbedingungen, die auf politischer Ebene hergestellt werden müssen.

Gesellschaftspolitisch haben Einrichtungen wie NEUSTART auch eine immens wichtige Aufgabe in der Bildung von Bewusstsein dafür, wo man ansetzen muss, um zukünftige Straftaten zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Dafür wiederum spielt das auch medial transportierte Bild von Bewährungshilfe eine entscheidende Rolle – leider liest man darüber sehr wenig und wenn, oftmals nur Klischeehaftes.

Diese gesellschaftspolitisch enorm wichtige Arbeit, hat meiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit und Berichterstattung verdient- dient sie nicht zuletzt doch auch dem Abbau von Ängsten und Vorbehalten und hat damit jedenfalls großes Potential, den vielzitierten „Zusammenhalt der Gesellschaft“ zu stärken.

Die Weiterentwicklung und Bekanntmachung der bestehenden Alternativen zum herkömmlichen Strafvollzug – speziell für junge Menschen – nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen sehe ich als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben für NEUSTART. Speziell natürlich in der Zusammenarbeit mit „Zuweisern“  (RichterInnen, Jusitzanstalten,..usw.), aber auch in der Kommunikation mit der Bevölkerung, sollte das Verständnis für den Allgemeinnutzen solcher Alternativen gestärkt werden. Auch und speziell die Verstärkung der Einbindung von professionell unterstützen Ehrenamtlichen stellt aus meiner Sicht einen sehr wichtigen Kommunikationsfaktor und eine große Chance für die Bewusstseinsbildung dar und die Akzeptanz in der Bevölkerung dar.

Ich bin sehr dankbar für den beeindruckenden Einblick, den ich durch diesen Hospitationstag bei NEUSTART bekommen habe und hoffe, dass ich bei einer weitere Hospitation vielleicht auch noch Maßnahmen wie Prozessbegleitung oder Anti – Gewalt – Training direkt kennen lernen darf.

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